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Warum wir Berge zum (Über-) Leben brauchen

Wen interessieren schon Berge? 

Überzeugte Flachlandtiroler und Meeresanbeter werden kaum zustimmen, dass Berge und Gebirge wichtig für ihr Leben sein sollen. Steile Berghänge sind Verkehrshindernisse, die man höchstens mal als Unterlage zum Skifahren gebrauchen kann. Als Postkartenhintergrund sind sie vielleicht noch ganz nützlich. Aber sonst? Es lebt ja schließlich auch die große Mehrheit der Menschen in Ebenen und Tiefländern, welche drei Viertel der globalen Landmasse ausmachen. Dass die UNO einst den 11. Dezember zum internationalen Aktionstag der Berge ernannte, war sicher nur einer dieser symbolischen Akte, die sowieso kein Mensch mitbekommt.

Nein – an dieser Stelle ist es Zeit für entschiedenen Widerspruch! Die lichten Höhen sind nämlich weitaus bedeutender, als den bergfernen Zeitgenossen so bewusst ist. Gebirge haben Eigenschaften und Funktionen, die den Planeten Erde nicht nur vielfältiger aussehen lassen, sondern auch das Leben darauf deutlich einfacher machen.

Fels, Wind und Wasser – der Berg als Alchemist

Wie sie das machen? In etwa so wie in einer Hexenküche, in der aus wenigen einfachen Zutaten wie Fels, Wind und Wasser eine unglaublich reichhaltige Mixtur von Klimazonen, Ökosystemen und Habitaten auf engstem Raum entsteht.

Als besondere Zutat kommt noch die geografische Position hinzu, an der das Gebirge emporragt. Sie bestimmt zusammen mit der Höhe der Berge, ob das Wasser eher in Form von Regen oder als Schnee niedergeht. Das Prinzip ist überall gleich: Berge stehen den Luftmassen als „Wolkenfänger“ im Wege. Relativ warme Luftmassen aus tiefen Lagen stauen sich, steigen nach oben und regnen bei genügend Feuchtigkeitsgehalt schließlich ab. Oder es kommt Schnee aus den Wolken, der sich zu Gletschern ansammeln kann, die wiederum über Jahrtausende hinweg gigantische Speicher an bestem Trinkwasser bilden können.

Vom Massiv zum Mineralstaub – der Berg als Fruchtbarkeitsspender

Die Luftmassen und Wolken sind auch Teil der Wind- und Wetter-Erosion, die das Gestein an den Bergspitzen bearbeitet und in immer kleinere Teile zerlegt – bis hin zu Mineralstaub, der irgendwann vom Gletscherbach abtransportiert wird und in Form von Sediment für fruchtbare Böden in tieferen Lagen sorgt. Der Frost und die extremen Temperaturwechsel tragen ebenfalls dazu bei, dass das massive Gestein stetig verwittert und erodiert. Manche Gebirge sind in einem Gleichgewicht aus innerem, geologischem Wachstum und äußerem Zerfall. Die höchsten Gebirge wie der Himalaya sind so hoch, weil im gegenwärtigen Zeitabschnitt der Wachstumsimpuls überwiegt. Bei vielen heutigen Mittelgebirgen hingegen hat vor langer Zeit der Abtragungsimpuls die Oberhand gewonnen.

Atmosphärische Waschmaschinen – die reinigende Kraft der Berge

Egal ob sie wachsen oder zerfallen, Gebirge sind während ihrer gesamten Lebenszeit so etwas wie gigantische Waschmaschinen, die dank der eben skizzierten dynamischen Kreisläufe die Luft, das Wasser und den Boden regelrecht säubern. Selbst in den Alpen, die ringsum von dichter Besiedlung umgeben sind, ist das Wasser vielerorts glasklar, die Luft ist rein und der Boden lässt die Kräuter nur so wuchern. Der Boden ist unter anderem ein Produkt der Wälder, die im Gebirge wegen der gestauten Feuchtigkeit auch dann entstehen, wenn ringsum karge Steppe oder Wüste dominiert. Wenn die Bodenschichten wiederum vom Wasser abgetragen werden, gelangen weitere Sedimente und Nährstoffe ins Tiefland. Kurzum: Wo ein Gebirge in der Nähe ist, sinkt die Wahrscheinlichkeit lebensfeindlicher Wüsteneien, während die Wahrscheinlichkeit für fruchtbare, humusreiche Böden steigt.

Artenvielfalt dank Mikroklima

Und das ist immer noch nicht alles: Gebirge bilden obendrein riesige Schutzmauern, an deren zum Äquator gerichteten Hängen und vom Wetter abgewandten Seiten sich warme Mikroklimate mit großer Artenvielfalt entwickeln können. So findet man auf der Südseite der Alpen mediterran anmutende, beinahe subtropische Täler in nur wenigen Kilometern Entfernung von den kalt gemäßigten Tälern der dem Wetter zugewandten und Äquator-abgewandten Nordseite. Aus diesen Kontrasten entsteht nicht nur eine enorme Vielfalt der Natur, sondern auch der Kultur und der Lebensweisen der hier siedelnden Menschen.
 

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