Artenschutz braucht Magerwiesen
Artenschutz braucht Magerwiesen
Die Landwirtschaft als Artenschützerin
Wir können die Natur heute nicht mehr sich selbst überlassen, so die These von Dr. Werner Kunz, Prof. i.R. von der Universität Düsseldorf. Der Natur ihren Lauf lassen, die sukzessive Übernahme einzelner Gebiete durch eine üppige Flora fördern – diese Maßnahmen folgen einer Ästhetik der Landschaft, die mit Artenschutz nichts zu tun hat. Die in Mitteleuropa seit der Eiszeit heimischen Tiere bevorzugen steppenartige Offenlandschaften und Niederwälder, eine Landschaft also, die es so immer weniger gibt. Die Lösung: Land- und Forstwirte könnten die Artenschützer der Zukunft werden. Sie könnten diejenigen sein, die zukünftig den Arten Lebensräume nicht nur erschaffen, sondern diese auch artspezifisch pflegen.
Extrembedingungen fördern die Vielfalt von Flora und Fauna
Artenvielfalt ist auf Extrembedingungen angewiesen. Habitate, die besonders stark von weit verbreiteten Normalbedingungen abweichen, haben ein enormes Biotopentwicklungspotenzial. Das trifft auf Böden zu, die entweder besonders nass, besonders trocken und/oder besonders nährstoffarm sind. Durch die heutige landwirtschaftliche Intensivnutzung sind jedoch vor allem diese Böden mit extremen Umweltbedingungen stark gefährdet oder bereits verschwunden und daher schutzbedürftig. Denn nicht nur wird überall gedüngt – selbst an ungedüngten Standorten gibt es Stickstoffeinträge aus der Luft.
Ausbeuterische Landwirtschaft als Schützerin der Artenvielfalt
Gerade der Stickstoffmangel ist Kunz zufolge jedoch entscheidend für den Artenreichtum. Viele Insekten- und Vogelarten sowie ein Großteil der Pflanzenarten Mitteleuropas sind auf Nährstoffmangelstandorte angewiesen. Diese Standorte wurden bis vor circa 200 Jahren vor allem durch eine ausbeuterische und extensive Landwirtschaft geschaffen und erhalten. Die LandwirtInnen hielten die Natur im Zaum, schützten die Landschaft vor Vergrasung, Verbuschung und Verwaldung und verteidigten so die Habitate eines Großteils der mitteleuropäischen Tierwelt.
Bedrohte Arten finden wir heute vor allem da, wo es karg und unwirtlich ist
Dieser Zusammenhang wird heute besonders dort deutlich, wo gerade nicht-naturnahe Gebiete zur Heimat selten gewordener Arten werden. Militärgelände, Braunkohle- oder Kiesabbauflächen beherbergen teilweise die halbe rote Liste. Auch der belegte Artenschwund in Naturschutzgebieten deutet daraufhin. Kunz sieht hier die natürliche Sukzession als Hauptursache für den Rückgang der Arten, also die natürliche Rückkehr der standorttypischen Pflanzen, Pilze und Tiere (Biozönose).
Drei Viertel aller heimischen Wildbienenarten nisten im Erdboden und sind von daher auf lückig bewachsene Flächen angewiesen. Natürliche Populationen von Sandbienen brauchen Magerrasen, Steilhänge und Steinbrüche zum Überleben. Die meisten heimischen Wildstaudenarten wachsen auf mageren und trockenen Böden. Vor allem konkurrenzschwache Arten finden auf kalkreichem und nährstoffarmem Boden ihren Platz. Sogenannte Magerwiesen zählen zu den artenreichsten Wiesentypen überhaupt. Auf sogenannten Fettwiesen hingegen haben aufgrund des hohen Stickstoffgehalts nur schnell wachsende Gräser und Blumen eine Chance.
Naturschutz durch Magerflächen als integraler Bestandteil der Kulturlandschaft
Für Kunz ist klar: Habitate für selten gewordene Arten müssen in Zukunft künstlich geschaffen werden, wenn wir das Aussterben stoppen wollen. Nährstoffarme Magerstandorte müssen Teil der bewirtschafteten Flächen werden – und zwar sowohl auf dem Land als auch in städtischen Regionen.
Da die Düngung aus der Luft auch in Schutzgebieten nicht aufzuhalten ist, gilt es, nährstoffarme Flächen durch Abtragen des Oberbodens zu simulieren. Die Nährstoffarmut, so Schulz, müsse gezielte Pflege erhalten.
Die Landwirtschaft als Artenschützerin – ein Modell für die Zukunft
Um die Vielfalt der Arten zu schützen, wird es daher in Zukunft immer wichtiger, einen substanziellen Mindestanteil solcher nicht-produktiven Magerstandorte in die Agrarlandschaft zu integrieren. LandwirtInnen müssen durch finanzielle Anreize dazu motiviert werden, solche Flächen für Artenschutz bereitzustellen und zu pflegen, fordert die deutsche Umweltministerin Schulze.
Auch außerhalb der Landwirtschaft müssen Räume für Insekten und andere Tiere wiederhergestellt werden. Immerhin ist die Fläche aller Privatgärten zusammengenommen ebenso groß wie die Summe aller Naturschutzgebiete – die städtischen Grünflächen noch gar nicht mitgezählt. Das Potenzial ist enorm.
Es scheint klar: Weder die intensive Pflege sattgrüner Anlagen, noch das unbewirtschaftete Zuwachsenlassen von Brachgebieten sind für den Artenschutz zielführend. Es muss ein integratives Konzept her, das Städte und Gemeinden, Landwirtschaft und Privatmenschen mit einbezieht.
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