Du bist hier der Chef!
Du bist hier der Chef!
Höfe retten statt Höfesterben – gemeinsam für nachhaltig produzierte Lebensmittel
Du bist hier der Chef! – das verspricht Mitbestimmung, Mitgestaltung und Eigenverantwortung. Was auf den ersten Blick nach absoluter Macht der Konsumierenden klingt, ist allerdings mehr als ein Versprechen von Verbraucher*innen an Verbraucher*innen. Es ist der Wunsch, den Graben zwischen konsumierender Stadtbevölkerung und produzierender Landwirtschaft zu schließen, um gemeinsam für nachhaltig produzierte Lebensmittel tätig zu sein – zum Wohle von Mensch, Tier und Umwelt. Das Ziel: eine transparente Erzeugungskette, faire Bezahlung und gute Qualität.
Frankreich weiß schon seit drei Jahren, wo das Essen herkommt
Die Idee stammt aus Frankreich, wo das Projekt bereits seit 2016 existiert. Eine Gruppe von Menschen wollte mehr darüber wissen, wie die Tiere gehalten werden, deren Fleisch auf ihren Tellern landet. Sie wünschten sich Transparenz bezüglich der Herkunft der Futtermittel, des Saatguts und der Ausbringung von Pestiziden auf den Feldern. Und sie waren überzeugt: Die Betriebe, die ihre Lebensmittel herstellten, sollten angemessen für die erwartete Qualität entlohnt werden. So wurde die französische Verbraucherinitiative „C’est qui le patron?“ ins Leben gerufen.
Gemeinschaft und Gespräche auf Augenhöhe sind im Konzept verankert
Die Idee ist komplex und dennoch simpel: ein gemeinschaftlich entwickeltes Lebensmittelproduktionskonzept, das die Bedürfnisse und Wünsche aller Beteiligten berücksichtigt. Zu diesem Zweck werden gemeinsam mit Landwirt*innen, Herstellungsbetrieben und dem Handel Fragenkataloge entwickelt, die relevante Eckdaten für die jeweiligen Lebensmittel enthalten. Die VerbraucherInnen bestimmen nicht allein über die Produkte – es geht um Partnerschaft in jedem Glied der Wertschöpfungskette.
Am Beispiel der Milch können Konsumierende so z.B. entscheiden, ob sie ein Bioprodukt wollen oder konventionell hergestellte Milch. Sie wählen, aus welchem Land das Futtersoja stammen soll, ob die Tiere auf die Weide können oder sie Stallhaltung präferieren. Am Ende steht noch die Abstimmung darüber an, wie hoch der Betrieb entlohnt werden soll – kostendeckend oder mit Spielraum für Investitionen beispielsweise in den Umbau hin zur ökologischen Wirtschaft.
„Bauern, die nachhaltig und umweltbewusst wirtschaften, sollen auch davon leben können“
(Gunther, Vereinsmitglied bei „Du bist hier der Chef!“)
Nicolas Barthelmé, der die Initiative letztes Jahr in Deutschland gründete, ist überzeugt:
„Wer weiß, was drinsteckt, und entscheiden darf, wie Lebensmittel produziert werden sollen, zahlt auch einen höheren Preis für gutes Essen. Wenn die Menschen eine echte Wahl haben, entscheiden sie sich […] für mehr Umweltschutz, Tierwohl und faire Preise für die Bauernhöfe.“
Und die Erfahrungen in Frankreich geben ihm Recht. In den letzten drei Jahren haben die BürgerInnen in Frankreich auf diese Weise rund 30 Produkte mit auf den Markt gebracht: Von Milch über Kartoffeln, Hähnchen bis hin zu Tiefkühlpizza ist jede Menge dabei. Im Schnitt stimmen 7.000 Menschen über die Produkte ab, die im Anschluss millionenfach in jedem großen Supermarkt des Landes in den Regalen stehen.
Gemeinsam geteilte Werte sind die länderübergreifende Basis der Idee
Von Frankreich ausgehend verbreitete sich die Initiative schnell in mehreren europäischen Ländern und ein bisschen weiter, wie es auf der Internetseite nicht ohne Stolz heißt. Sogar Marokko hat die Idee bereits erobert. Und auch wenn Regionalität in Bezug auf die Produktherstellung ein selbst gesetztes Ziel ist, gibt es Prinzipien und Werte, die die AkteurInnen grenzübergreifend teilen:
Vollkommene Transparenz über die gesamte Wertschöpfungskette soll das Vertrauen zum Produkt herstellen. Zusammenarbeit auf Augenhöhe schafft echte partnerschaftliche Beziehungen, in denen die Betriebe nicht im Auftrag der Initiative herstellen, sondern mit ihr gemeinsam an der Entwicklung arbeiten und produzieren.
Höfe retten statt Höfesterben – das kann „Du bist hier der Chef!“
Und was hat die Landwirtschaft davon? 1.500 landwirtschaftliche Betriebe produzieren in Frankreich für die Marke und profitieren von der fairen Bezahlung. So werden Investitionen in Tierschutzmaßnahmen oder die Umstellung auf den ökologischen Landbau möglich. Vielen Betrieben, die zunächst vor der Frage standen, ob sie überhaupt noch weitermachen können, hat die Initiative die Existenz gerettet.
Auch in Deutschland ist das Projekt gut angelaufen. Ende Dezember kam der erste von Molkereien, Milchbetrieben und Konsumierenden entwickelte Fragebogen zur Milch ins Netz. Bis zum Ende des Abstimmungszeitraums hatten sich fast 10.000 Menschen beteiligt, dann wurde ausgewertet und das Produkt auf Grundlage der Antworten designt. Seit Mai 2020 steht die Milch schließlich in deutschen Supermarktregalen.
Mehr als Lebensmittel: Wertschätzung, Fairness und Vertrauen zum Wohl der Gemeinschaft
Wenn man die Internetseite der Initiative [https://dubisthierderchef.de] sorgfältig liest, wird schnell klar, dass es bei „Du bist hier der Chef!“ um mehr geht als die Frage danach, was wir essen und trinken und wen wir wie dafür bezahlen wollen. Es dreht sich auch darum, wie unser Zusammenleben in Zukunft aussehen kann. Es geht um ein partnerschaftliches Miteinander auf Augenhöhe; darum, in gemeinschaftlichen Beziehungen zu handeln, die auf Vertrauen basieren und von denen jede Seite profitiert.
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